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Ich bin dir nicht mehr böse

Esther berichtet

Habt ihr, liebe Hundemenschen, euch schon mal gefragt, ob unsere Hunde das Prinzip der Versöhnung kennen? Ob sie sich zB. unter einander wieder versöhnen können und wollen nach einer konflikthaften Situation?

 

Genau diese Frage wurde letzthin in einem Chat im Internet angeregt diskutiert. Eine Chatterin hat das Versöhnungsprinzip unter Hunden ins Feld geführt, um damit entsprechende Trainingstechniken argumentieren zu können.

Bei besagtem Training wird der Hund, sobald er unerwünschtes Verhalten zeigt, "leicht" bestraft, um gleich danach mit etwas Gutem wieder "versöhnt" zu werden. So sollte er lernen, ein unerwünschtes Verhalten nicht mehr zu zeigen. 

Foto Pixabay
Foto Pixabay

 

Ein Beispiel:

> Der Hund hat ein Problem mit Artgenossen und verbellt diese, wenn sie ihm zu nahe kommen.
> Wenn er das macht, wird von der Bezugsperson entweder in die Seite gekniffen oder es gibt einen unangenehmen Leinenruck 
> Gleich danach wird die Versöhnung mit zB. einem Leckerli eingeleitet.

Die Argumentation hinter dieser Technik:

Durch die "Versöhnung", die der Strafe stante pede folgt, soll der Hund die Bestrafung nicht so doll oder so hart erleben. Begründet wird dieses Vorgehen damit, dass Hunde unter sich das Prinzip Versöhnung auch kennen und diese nach Konflikten zur Deeskalation einsetzen.

 

=> Zu dieser Argumentation sei die grundsätzliche Frage erlaubt, welchen Sinn es überhaupt macht, auf unerwünschtes Verhalten vom Hund zu warten oder den Hund sogar in das unerwünschte Verhalten zu führen, um dieses dann bestrafen zu können??? Es wäre doch so viel einfacher, das erwünschte Verhalten, welches der Hund zuvor gezeigt hat, zu markieren und zu belohnen! Und es wäre erst noch viel, viel freundlicher!

 

Das sagt die Forschung zum Phänomen Versöhnung:

Sich versöhnen können ist eine wichtige Fähigkeit für alle Lebewesen, die in Gruppen leben und darauf angewiesen sind, zusammen zu kooperieren.

Eine Forschergruppe des Wolf Science Center (WSC) in Wien hat das Phänomen der Versöhnung an vier in Gefangenschaft gehaltenen Wolfsrudeln und vier in Gefangenschaft gehaltenen Hundegruppen untersucht.

 

 

Sie haben festgestellt: Je stärker die Abhängigkeit - bezogen auf Zusammenarbeit und Kooperation - zwischen den Rudelmitgliedern war, desto grösser war die Bereitschaft zur Versöhnung! So zeigte sich bei den Wolfsrudeln, die in hohem Masse auf die Zusammenarbeit zwischen den Rudelmitgliedern angewiesen sind, eine grosse Bereitschaft zur Versöhnung. Während die Haushunde, die untereinander weniger auf Kooperation angewiesen waren, es öfter vermieden haben nach Konflikten mit ihren Hundepartnern zu interagieren und sich tendenziell eher aus dem Weg gegangen sind.

 

Natürlich aber können auch Hunde sich versöhnen, sie können "Frieden schliessen" und wieder soziopositive Interaktionen aufnehmen. Es braucht in der Regel aber etwas mehr Zeit als beispielsweise bei Mitgliedern eines Wolfsrudels.

 

Die Forschergruppe hält in ihrer Studie jedoch auch fest, dass noch weitere Untersuchungen nötig sind um herauszufinden, welche konkreten Faktoren die Versöhnung bei Hunden beeinflussen und fördern.

* Quelle:

The effect of domestication on post-conflict management - wolves reconcile while dogs avoid each other

https://royalsocietypublishing.org/doi/full/10.1098/rsos.171553

 

Foto: Beatrice Matthys
Foto: Beatrice Matthys

Hunde kennen also das Prinzip der Versöhnung. Dieses im Training in Verbindung mit Strafe einzusetzen, ist aber zumindest ziemlich fragwürdig. Es macht doch u.a. einen deutlichen Unterschied, ob der "Strafe" eine konflikthafte Situation zwischen den Individuen vorausgegangen ist oder ob das Ungute "aus heiterem Himmel" kommt und den Hund erschreckt, ängstigt oder ihm Schmerzen zufügt.

 

Ein Beispiel:

Stellt euch vor, ihr befindet euch mit einer guten Bekannten in einer kontrovers geführten und bizzi emotional ausufernden Diskussion.

Es ist doch nun unbestritten nicht dasselbe, ob das Gegenüber aus diesem emotionalen Moment heraus mal heftig auf den Tisch haut und schimpft oder ob das gleiche Verhalten "einfach so, aus heiterem Himmel" passiert.

 

Dieses Beispiel zeigt auf, dass es wirklich Nonsense ist, eine Trainingstechnik auf dem Prinzip der Strafe + Versöhnung - wobei Letztere bei Hunden sowieso nicht so ausgeprägt ist wie bei anderen Caniden - aufzubauen. Einem Training also, das darauf ausgerichtet ist, den Hund aus heiterem Himmel abzustrafen um sich dann wieder mit ihm zu versöhnen. Weil - Versöhnung steht in Bezug zu einem konkreten Konflikt. 

 

Trainingsideen (oder auch Hirngespinste) solcher und ähnlicher Art ploppen in regelmässigen Abständen immer mal wieder hoch, werden als das Neueste vom Neuen angepriesen und machen in der Hundewelt die Runde.

 

Mich erstaunt dabei immer wieder, wie viel Denk-Energie von Fach- und anderen Personen in das Thema Strafen gelegt wird. Interessant dabei finde ich auch, dass die Strafe aber nicht als solche benannt wird. Es werden für strafende Einwirkungen in der Regel beschönigende Umschreibungen eingesetzt.

So gibt es zB. keine Leinenrucke sondern Leinenimpulse..., der Hund wird nicht in die Seite gekniffen, sondern er wird korrigiert..., er wird nicht mit der Wurfkette oder Wasserpistole erschreckt, sondern an erwünschtes Verhalten erinnert... 

 

Es lohnt sich immer, kritisch zu hinterfragen und nicht alles zu glauben, was (Fach-)Leute, das Internet oder die Werbung anpreisen und versprechen.

 

Ein Gedanke noch zum Schluss:

Würde die gleiche Energie, die in den Einsatz strafender Hilfsmittel und Techniken investiert wird, in die Verstärkung von erwünschtem Verhalten gelegt - bei Tieren, bei Menschen - die Welt wäre wohl insgesamt ein wenig freundlicher!

 

Mit herzlichem Gruss

Esther & Nayeli

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